Heute habe ich mich vorwiegend in der alten und zum Teil verfallenen Heringsfabrik von Djúpavík aufgehalten.
Zuerst habe ich am Morgen an einer Führung teilgenommen, auf der Magnus, der Hotelmanager allerlei Wissenswertes über die Fabrik und ihre Geschichte erzählte und einzelne Exponate sowie den ganzen Produktionsablauf erklärte. am Nachmittag hatte ich dann die Fabrik gegen eine Gebühr ganz für mich alleine und konnte meine Bilder in aller Ruhe schiessen.
Dazwischen traf dann allerdings noch das Ergebnis meines zweiten COVID-19 Tests, den ich gestern machen musste, ein: NEGATIV. 🙂
Die hatten geschrieben, dass keine Nachricht innerhalb von 24 Stunden bedeuten würde, dass man nicht mit COVID-19 diagnostiziert worden sei. So habe ich dann um ca 10:40 angenommen, dass dies der Fall sein. Um 14:00 kam dann die Bestätigung per App und SMS.
Somit kann ich meine Reise wie geplant fortsetzen.
Doch zurück zur Heringsfabrik: Da wieder Superwetter herrschte, war es in der Fabrik, die vollständig aus Beton gebaut wurde, viel kälter aus draussen. So hat es sich doch noch bezahlt gemacht, dass ich meine warmen Sachen auch dieses Mal mit nach Island gebracht hatte.
Die Fabrik wurde 1934 an diesem Standort innert 15 Monaten aufgebaut und war die Modernste ihrer Art. Alles, was zum Bau benötigt wurde, wurde per Schiff hierher gebracht. Bei den 15 Monaten ist auch zu berücksichtigen, dass die Winter hier sehr streng und reich an Schnee und Stürmen sind. Der Ort heute noch im Winter nur mit einem Schneemobil oder über’s Wasser erreichbar. Die Fabrik ist bis heute eines der grössten Häuser aus Beton in ganz Island.
In der Fabrik wurde nicht genussfertiger Hering hergestellt, sondern Heringsöl von bester Qualität und Heringsmehl (Haut, Gräte und Fleisch wurden nach dem Auspressen getrocknet und zu Mehl vermahlen). Die Lagerkapazität der Fabrik waren 5’600 Tonnen Heringsöl, das in drei beheizten Tanks gelagert werden konnte. Ein kleinerer Teil des Fang wurde jeweils ausserhalb der Fabrik zum späteren Verzehr eingesalzen.
Die Fabrik florierte und brachte den Besitzern viel Geld ein. Die Darlehen einer schwedischen Bank (keine isländische Bank war damals in der Lage, so hohe Darlehen zu gewähren) waren innerhalb von 2 Jahren abbezahlt.
Rund um die Fabrik entstand in der Folge ein kleines Dorf, denn zeitweise bot die Fabrik mehr als 300 Menschen Arbeit.
Das änderte sich, als ab ca 1944 die Heringsschwärme vor Westisland immer kleiner wurden und irgendwann ganz verschwanden. Abgesehen von Überfischung ist auch ein Grund für dieses Phänomen, dass Heringe weiter ziehen, in diesem Fall Richtung Norwegen. Das passiert überall auf der Welt, und noch kein lokaler Verarbeitungsbetrieb auf der Welt hatte mehr als ein paar Jahre bestand.
Nach der definitiven Schliessung 1954 wurde die Fabrik und damit auch Djúpavík sich selbst überlassen. Die Anwohner zogen weg und Djúpavík wurde zur Geisterstadt. Das Dorf und die Fabrik begann zu verfallen. Mangelnder Unterhalt, das salzige Meerwasser und die Winterstürme setzten den Gebäuden sehr zu.
Bis 1985 ein „Verrückter“ aus Reykjavik zusammen mit seiner Frau die Fabrik kaufte und hierher zog. Sie begannen das Hotel auszubauen und zu betreiben, versuchen bis heute, die Fabrik als Zeitzeuge einer Industrie in den Westfjorden vor dem Verfall zu bewahren. Es sind die heutigen Besitzer und ihre Kinder, die den Ort erhalten und das Hotel betreiben. Magnus, der Hotelmanager (als solcher wurde er vor fünf Jahren angestellt), der die Führung machte und alle diese Dinge zu erzählen wusste, ist heute der Schwiegersohn der Besitzer und spricht von dem Projekt, als wäre es sein eigenes.
Die Familie ist bis heute die einzige, die dauerhaft das ganze Jahr über hier lebt. Alle anderen Bewohner sind nur im Sommer hier und verlassen den Ort jeweils, bevor er eingeschneit wird.
Bei all diesen Geschichten sollte man nicht vergessen, dass die Anfahrt nach Djúpavík eine knappe Stunden über holprige Schotterstrassen führt, die wegen der Schlaglöcher am Besten mit einem Offroader zu fahren ist. Nie im Leben hätte ich damit gerechnet, so etwas in dieser abgelegenen Bucht (Djúpavík heisst übersetzt „tiefe Bucht“) anzutreffen.
Morgen geht’s dann weiter Richtung Osten. Ich werde die Westfjorde verlassen und nach Nordisland fahren. Dieser Teil der Reise war ursprünglich nicht eingeplant gewesen. Aber als Iceland Air vor zwei Wochen meinen Rückflug um zwei Wochen verschoben hatte (die fliegen im Moment nicht mehr täglich nach Zürich, sondern nur noch am Dienstag, Samstag und Sonntag), musste (und wollte) ich die zwei zusätzlichen Tage mit Programm füllen.